Uups, da war es schon wieder: 365 Tag gingen mal wieder so schnell rum, tatttaaa: Silvester mit seiner Böllerei steht vor der Tür. Und mit allerschönster Regelmäßigkeit fällt vielen Tierbesitzern 1-2 Wochen vorher wieder ein, dass der eigene Hund ja eigentlich immer Panik hat und dringend Hilfe braucht. Aber irgendwie ging das Jahr schon wieder schnell rum und schon steht die Knallerei wieder an.

Ein Gutes hatte die Corona Zeit: die Silvester-Böller-Verbote. Das hat bei vielen Tieren den Jahreswechsel deutlich entspannt. Aber bereits der Jahreswechsel 2022/2023 kam vielen Vierbeinern wieder einem Horrortrip gleich. Fast so, als müssten manche Menschen 2 ausgefallene Böllerjahre nachholen wurde über mehrere Tage geballert was das Zeug hält- gefühlt deutlich mehr als in den Vor-Corona-Jahren.
Also ist wieder zu erwarten, dass ab ca. 20.12. wieder vermehrt die Anfragen nach Hilfe gegen Silvesterangst kommt. 

Deswegen hier einmal eine Auflistung der Möglichkeiten- Allgemeint bekannte und immer wieder aufgewärmte Tipps wie Rollläden runter, Radio laut oder mit dem Auto rumfahren lasse ich hier bewusst aus.
Grundsätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Pflanzliche Präparate und zugelassene schulmedizinische Präparate.

Pflanzliche Präparate bei Silvesterangst

Pflanzliche Präparate fallen eigentlich eher in das Feld Nahrungsergänzungsmittel (z.B. Relaxan®, Zylkene® oder Adaptil®). Diese haben eine längere Vorlaufzeit bis zur Wirkung, d.h. eine Verabreichung ab dem 30.12. kann man eigentlich gleich sein lassen, man sollte so etwa 8-10 Tage vor dem Ereignis mit der Gaben beginnen und muss zum Teil deutlich höhere Dosen (bis zu 4-fach gegenüber der Angabe auf der Packung) verabreichen um eine Wirkung zu erzielen.
Diese Präparate wirken natürlich nicht bei absolut panischen Hunden, sondern eher bei Hunden die sich unwohl fühlen, ein bisschen Stress und Unruhe zeigen.
Die Sau die derzeit bei jeglichen Problemen (von Gelenksschmerzen über psychische Probleme und Angstzustände) durchs Ort getrieben wird ist das CBD-Öl. Das fällt für mich wie Bachblüten unter den Bereich: Man kann es verabreichen, es wird wohl nicht schaden, aber man sollte nicht auf eine Wirkung durch das Präparat bauen, allenfalls wird ein Placebo-Effekt eintreten durch das Gefühle des Besitzers „etwas getan zu haben“.
Die Abschirmung gegen Geräusche durch z.B. Watte im Ohr oder sogenannte Thundershirts können bei manchen Hunden ebenfalls zu einer Verbesserung führen.

Verschreibungspflichte Medikamente gegen Silvesterangst

Kommen wir nun zu den verschreibungspflichtigen Medikamenten.
Leider wird bei uns immer wieder aktiv nach Sedalin® gefragt. Das zeigt mir: die Menschen wissen gar nicht, was das ist. Deswegen hier eine Aufklärung.
Sedalin® ist der Handelsname des Wirkstoffes Acepromazin- andere Handelsnamen sind z.B: Vetranquil® oder Calmivet®. Dieser ist augenscheinlich für die Tierbesitzer sehr wirksam: das Tier liegt sediert in der Ecke und zeigt keine Angst. Und hier zeigt sich, warum das Zeug speziell bei Geräuschangst wirklich richtig fies ist: es wirkt sedierend und muskelrelaxierend. Das bedeutet die Hunde liegen mehr oder weniger bewegungsunfähig in der Ecke, ABER: unter Acepromazin wird die Geräuschempfindlichkeit eher noch gesteigert, durch die Muskelentspannende Wirkung KÖNNEN die Patienten aber ihre Angst nicht zeigen. Und wie schlimm das ist, den Angstauslöser Geräusch/Knallerei verstärkt wahrzunehmen aber nicht reagieren zu können, das kann sich jeder vorstellen. Unterm Strich wird eine Panik damit mit Sicherheit eher verstärkt als verbessert. ALSO: FINGER WEG VOM ACEPROMAZIN!
Wir Tierärzte unterliegen dem EU-Arzneimittelrecht. Dieses verpflichtet uns bei der Verschreibung von Medikamenten immer zuerst solche zu wählen, die genau dafür zugelassen und auf dem Markt erhältlich sind.
Nun gibt es derzeit 2 veterinärmedizinisch zugelassene Präparate gegen Geräuschangst: Sileo® und Pexion® (immer eine funktionierende Lieferbarkeit vorausgesetzt) und damit sind das die 2 Präparate zwischen denen wir uns rechtlich gesehen entscheiden müssen wenn wir uns nicht im rechtsfreien Raum bewegen wollen.

Sileo®

Die Wirksamkeit von Sileo® wird von den Hundebesitzern sehr ungleich beschrieben. Ca. ¾ der Hundebesitzer sind mit der Wirkung zufrieden, ¼ nicht wirklich. Gleichzeitig ist die korrekte Anwendung für die Tierbesitzer nicht selbsterklärend, sondern im Gegenteil eher erklärungsbedürftig. Das Gel wird auf die Backenschleimhaut aufgetragen und wirkt dort. Es soll nicht abgeschluckt werden, d.h. eine Gabe mit Leckerlies oder übers Futter ist obsolet. Eventuell resultiert der beschriebene fehlende Effekt bei 25% der Hunde auch an einem Anwendungsfehler.

Pexion®

Eine Möglichkeit, die deutlich weniger fehleranfällig ist, stellt Pexion® dar Ursprünglich wurde es zugelassen als Medikament zur Therapie der Epilepsie. Die Gabe muss mehrere Tage vor Silvester beginnen und schient somit auch für die Hunde in Betracht zu kommen die die bereits zu Beginn der Böllerverkaufssaison panisch reagieren. Wichtig ist, dass Pexion® gegebenenfalls sowohl Ein- als auch Ausgeschlichen werden muss, und dass die Dosis des verabreichten Medikamentes bei der Indikation „Geräuschangst“ etwa 3-fach höher ist als bei der Indikation „Epilepsie“.  Das Schema zum Einschleichen und zum Ausschleichen des Präparates wird Ihnen die verschreibende Praxis mitteilen.
Den Tipp, es einmal mit Eierlikör oder Weißbier zu versuchen, liest man immer mal wieder. Ich selbst habe keine Erfahrung damit und kann nur auf den Silvester Artikel des Kollegen Ralph Rückert aus Ulm verweisen, er gibt hier (ohne Gewähr und Garantie) ein Rezept zur Dosierung.

Katzen an Silvester

Und was machen wir mit silvesterpanischen Katzen? Für unsere Stubentiger gibt es derzeit noch keine veterinärmedizinisch zugelassenen Medikamente. Der Einsatz von angstlösenden Wirkstoffen (z.B. Gabapentin) muss genau abgewogen und von Fall zu Fall entschieden werden. Es bleibt also: Am Besten bietet man ihnen einen ruhigen und abgedunkelten Rückzugsort an dem sie sich verkriechen und so sicher wie möglich fühlen können.
Hoffen wie einfach, dass die Vernunft irgendwann siegt und unseren Vierbeinern die leidige Böllerei irgendwann erspart bleibt.

Dr. Judith Lubjuhn-Fischer, Michelstadt, November 2023
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